Warum sich Kinder für den iPad-Unterricht begeistern

Apple bewirbt sein iPad als ein perfektes Mittel fürs Arbeiten und Lernen, in den Werbevideos des Unternehmens hantieren glückliche Kinder mit dem Gerät und erstellen damit tolle Inhalte, die so aussehen, als ob sie aus der Design-Abteilung in Cupertino kommen. Kommt das der Realität nahe?



Ein Praxisbeispiel haben wir in Gelsenkirchen gefunden. Die kreisfreie Stadt versorgt ihre Schulen seit 2021 mit iPads, aktuell sind 43.000 iPads der 8. und 9. Generation dort im Umlauf, 40.000 Geräte verteilt an die Schüler und Schülerinnen und rund 3.000 Tablets befinden sich in den Händen von Lehrkräften.



Wir haben mit Thomas Sowa, dem Abteilungsleiter der Schul-IT aus dem Referat Bildung, und Christian Spiegel, Schulleiter GGS Georgstraße, über Erfahrungen mit dem iPad-Einsatz im Unterricht gesprochen.



Gelsenkirchen ist eine iPad-Stadt – dank Corona



Für eine Stadt mit 260.000 Einwohnern klingen 40.000 iPads in den Schulen erstmal nicht viel, doch gleich am Anfang setzt Christian Spiegel diese Zahl in eine Perspektive: Gelsenkirchen ist eine relativ arme Stadt, die Schule hat Schüler aus 45 Nationen. Schulkinder mit iPads aus eigenen Mitteln auszustatten wäre ein großer Traum geblieben, wäre da nicht die Corona-Pandemie beziehungsweise der Digitalpakt vom Bund samt etwas Unterstützung der EU dazwischen gekommen.



Mit diesen digitalen Lehrmitteln wollten die Schulen auch diejenigen Kinder zu Hause erreichen, die von ihrem Elternhaus keine Notebooks oder Tablets erwarten konnten. Thomas Sowa wendet noch ein, dass das Projekt nur deswegen erfolgreich geworden ist, weil man “iPads für die Schule” für alle Schulen in der Stadt ausgerollt hat. Hätte man den Einsatz als Pilotprojekt gestartet, hätten die Lehrkräfte damit nicht nachhaltig planen können und entsprechend den Unterricht gestaltet.



Aber nicht nur die iPads selbst sind für den erfolgreichen Umstieg auf digitales Lernen notwendig: Jede Gelsenkirchener Schule ist laut Sowa an einen Glasfaserring der Stadt angeschlossen. Aktuell fließen die Daten mit einer Geschwindigkeit von vier Gigabit pro Sekunde durch die Leitungen, die Infrastruktur ist aber skalierbar. Wenn etwa Apple im Herbst iOS 18 veröffentlicht – das System bringt einige für Schule und Uni gedachten Funktionen (dazu später mehr) –, kann man das Netz auf eine Geschwindigkeit von zehn Gigabit pro Sekunde beschleunigen.



Warum das iPad als Schul-Notebook gut geeignet ist



Wir wollten wissen, warum die Wahl der Stadt Gelsenkirchen auf das iPad gefallen ist und welche Geräte genau im Umlauf sind. Der ITler Sowa und der Lehrer Spiegel, bringen jeweils einen eigenen Blickwinkel auf die Problematik “digitale Ausstattung der Schule” ein.



Für Thomas Sowa war es wichtig, dass er alle Geräte zuverlässig aus einer Hand verwalten kann. Dazu kommt es noch, dass die iPads fast sofort einsatzfähig sind, man muss nicht viel daran konfigurieren und einrichten. Da arbeiten sie erfolgreich mit Jamf, einem Anbieter für die Verwaltung und den Schutz von Apple-Endgeräten, zusammen. Ein weiterer wichtiger Aspekt: Die Apps und die Software sollen mehrere Jahre kompatibel und lauffähig bleiben, nichts ist laut Sowa disruptiver als ein System, das die bestehende Programm-Infrastruktur “bricht”.



Damit der Einkauf von den Projektträgern genehmigt wird, dürfen die Geräte maximal 500 Euro Brutto kosten. So eignen sich eigentlich nur noch die iPads 8 und 9 als Tablets für die Schule, das iPad 10 war mit seinem Startpreis von 579 Euro schlicht zu teuer für den Einkauf. (Das hat sich mittlerweile geändert, Apple hat das iPad 9 im Mai aus seinem Angebot genommen und den Preis für das iPad 10 massiv gesenkt, Anm. d. Red.)



Dazu kommt noch die Problematik der zusätzlichen Ausstattung, denn für viele Aufgaben benötigen die Kinder einen Stift und eine Tastatur und am besten noch eine Hülle. Diese stellt Logitech mit seinem Rugged Combo 3. Die Hülle hat eine integrierte Tastatur, die sich mit der Energie über den Smart Connector speist, ist mit iPad 7, 8 und 9 kompatibel und bietet auch eine Halterung für den Logitech Crayon, eine Alternative für den Apple Pencil.



Der Apple Pencil käme übrigens für den Schuleinsatz nicht infrage: Zu fragil ist das Design. Zum einen wird der Lightning-Anschluss durch eine abnehmbare Kappe abgedeckt, diese würde bei einem Zehnjährigen im Handumdrehen verloren gehen. Zum anderen muss man den Pencil zum Aufladen in die Lightning-Buchse des iPads einstecken, eine solche Konstellation würde regelrecht zum Abbrechen des Anschlusses einladen.



Für Christian Spiegel stellte sich die Frage einer Alternative kaum noch: Der Schulleiter ist ausgebildeter Grund- und Förderschullehrer, bei seinem Unterricht an Grund- und Förderschule hatte er recht früh ein Phänomen bemerkt: Sobald er ein iPad im Unterricht einsetzte, waren fast alle seiner Schüler und Schülerinnen anwesend, obwohl diese Kinder auch vor anderen Problemen standen – wie Gewalt in der Familie oder Drogen- und Alkoholmissbrauch. Die Aussicht, mit dem iPad zu lernen und kreative Lösungen für schulische Aufgaben zu finden, war fast schon ein Lockmittel, um diesen Kindern den Unterricht schmackhaft zu machen.



Dazu ist das iPad als Lern-Tool erstaunlicherweise demokratischer als der ursprüngliche Frontalunterricht: Dabei können nämlich pro akademische Stunde höchstens zwei bis drei Schüler mit ihren Projekten zu Wort kommen. Diejenigen, die etwas mehr Zeit brauchten oder eine andere Herangehensweise anwendeten, fielen durch das Raster.



Jetzt geben die Kinder ihre Projekte in einen gemeinsamen Ordner ab, jeder kann sich alles anschauen und jeder kommt so zu Wort. Dazu sind die Ideen schneller austauschbar, per Airdrop  oder per Internet kann man alles tauschen, ob ein Pages-Dokument oder Notizen.




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Haben Bücher aus Papier ausgedient?



Wir fragen noch nach Büchern, egal in welcher Form, nach Apps, die dazu gekauft werden müssen oder eben nicht. Erstaunlich genug, die Gelsenkirchener Schulen haben mal digitale Bücher ausprobiert und sind dann zurück zur Papierform gekehrt.



Die Digitalisierung bei den Sachbücherverlagen prägt sich demnach laut Spiegel und Sowa in unterschiedlichen Aspekten aus: Mal stellt ein Verlag die PDF-Version seines Buches in den Store und meint dazu, das Buch wäre bereits digitalisiert, andere geben sich mehr Mühe und gestalten die Bücher interaktiv, mit Tests und Aufgaben, die Kinder lösen können.



Billiger ist aber die Sache nicht geworden: Kaufte eine Schule ein Lehrbuch und schrieb es in sechs Jahren ab, muss man für seine digitale Version jedes Jahr Lizenzgebühren zahlen.



Die Digitalisierung der Lehrbücher ist laut Christian Spiegel an einer scheinbar banalen Sache gescheitert, die allerdings die Kluft zwischen der Schulpraxis und den angedachten virtuellen Szenarios in den Verlagen aufweist: Die Eltern der Schüler mussten bei einem digitalen Buch ihre Einwilligung geben, dies sollte per einer einfachen E-Mail abgewickelt werden. Bei manchen Kindern waren die Eltern nicht alphabetisiert, geschweige denn besaßen sie eine E-Mail-Adresse.



Spiegel wünscht sich in diesem Zusammenhang mehr Berücksichtigung der Umstände, aus denen viele Kinder kommen, die mittlerweile in der Stadt leben, nicht nur von den Verlagen, sondern auch bei Kultusministerien, denn auch die Lehrpläne sind an eine gutbürgerliche deutsche Familie orientiert. Die Flüchtlingswellen der letzten Jahre haben aufgezeigt, dass eine Schule mit einem hohen Anteil an Flüchtlingskindern recht kreativ sein muss, um den Lehrplan auch für die Schüler ohne Deutschkenntnisse zu erfüllen. Demnach hilft hier das iPad immens, denn die Lehrkräfte und die Kinder sofort auf die eingebauten Tools zugreifen und das Notwendigste übersetzten.



Sicherheit von Geräten – und der Kinder



Wir fragen, wie schnell oder langsam iPadOS-Updates auf den Geräten landen. Thomas Sowa erzählt dazu eine Geschichte, die er in einer Schule erlebt hat: Ein Junge hat auf seine Frage zum iPad stolz gezeigt, wie er das Hintergrundbild seines Geräts statt dem voreingestellten zu einem Rennwagen ändern kann. Ein paar Minuten später überlegt es sich der Knabe anders und stellt eine Rakete als Hintergrundbild ein. Dem IT-Leiter ist klar geworden, dass der Junge unbewusst wichtige Sicherheitsregelungen seines Schul-iPads ausgehebelt hat. Denn um seinen Bildschirm zu ändern, hat der Junge die Funktion “Fokus” verwendet.



Die Gelsenkirchener Schulen haben direkten Draht zu Jamf als Anbieter der Verwaltungssoftware, aber auch zu Apple. So hat Apple versprochen, die Schwachstelle mit dem Fokus unter iOS 17.5 zu schließen, laut Thomas Sowa war das Update fast sofort nach der Veröffentlichung auf allen 40.000 iPads ausgerollt, … um eine Zeit später festzustellen, dass die Umgehung von Sicherheitseinstellungen per “Fokus” immer noch möglich war.



Apple weiß über den fortbestehenden Fehler Bescheid, mit iOS 17.6 ist die Schwachstelle nun tatsächlich behoben. Der Vorteil, ein Großkunde zu sein, ist demnach, dass Apple deutlich eher ein offenes Ohr für eigene Probleme hat, da sie nachweislich 40.000 Nutzer und Nutzerinnen und potentiell deutlich mehr betreffen. So kann man direkt mit den Entwicklern sprechen und auf schnelle Fehlerbehebungen hoffen.



Auch iPadOS 18 wird wohl zügig auf die schulischen iPads in Gelsenkirchen ausgerollt, denn Apple hat in Notizen mathematische Formeln und die Anbindung an die neue Taschenrechner-App versprochen. Christian Spiegel schwärmt für die Neuerung: “Sie ist einfach toll”.



Aber auch nicht um die Sicherheit von Hard- und Software geht es den beiden, sondern auch von Sicherheit der Kinder. Denn die wachsen quasi mit den iPads in den Händen auf, die Verantwortlichen können noch die Einstellungen des schulischen WLANs steuern und bestimmte Inhalte, Plattformen (wie TikTok) oder Webseiten sperren.



Sobald das Gerät sich im heimischen WLAN einwählt, gelten andere Regeln, nämlich die der Eltern. Christian Spiegel meint, eine Lehrkraft kann und sollte auch nicht alles verbieten, muss aber die Richtungen aufzeigen, wie man mit digitalen Medien verantwortungsbewusst umgehen sollte, wie man diese Medien im Unterricht und in der Freizeit verwenden kann.



So weiß seine 12-jährige Tochter mittlerweile, dass man über einmal gepostete Bilder im Internet keine Kontrolle behalten kann. Beim Umgang mit den anderen Mitschülern in der Klasse versucht der Lehrer nahezubringen, dass das Filmen bzw. Aufnehmen nur mit einer bewussten Erlaubnis einhergehen kann.



Gleichzeitig bieten das iPad bzw. generell digitale Medien eine einfache und geniale Möglichkeit, die eigene Entwicklung und Lernfortschritte in einem digitalen Portfolio nachzuverfolgen. Denn die Projekte der Kinder liegen seit der ersten Klasse auf den Schul-Servern, jeder kann seine alten Aufnahmen aufrufen und nachschauen, wie viel man in einer sehr kurzen Zeit geschafft hat.



Wohin die Reise geht



Dass das iPad an den Gelsenkirchener Schulen bleibt, steht außer Debatte. Laut Thomas Sowa findet gerade ein Generationenwechsel statt, von iPad 8 auf iPad 9. Das iPad 8 war noch in der Einstiegskonfiguration mit 32 Gigabyte Speicher ausgestattet, so langsam kommt das Gerät an seine Grenzen, vor allem bei den großen Updates wie iPadOS 17.0 oder iPadOS 18.0. Laut Christian Spiegel gibt es an den Schulen bereits Lehrer, die sagen, dass der Unterricht ohne iPad für sie undenkbar wäre, sie möchten nicht zurück in die Zeit von vor rund vier Jahren.



Das iPad kann tatsächlich Kinder in den Unterricht locken, wie am Beispiel von Christian Spiegel und seiner Brennpunkt-Klasse gezeigt. Doch darf man nicht vergessen, dass Apple Silizium, Glas und Plastik sowie zugegebenermaßen tolle Software ausliefert. Die wahre Magie, die selbst problematischsten Schüler und Schülerinnen für Unterrichtsinhalte sich zu interessieren verleitet, kommt von Begeisterung, Fantasie und Berufung der Lehrer und Lehrerinnen, die ein Tablet zu einem Tor zum Wissen verwandeln. (mb)